Seit mehr als 40 Jahren lebe ich nun auf Sizilien, in der Provinz Catania, am Fuße des Ätna. Der Vulkan hat mein Leben hier von Anfang an geprägt. Ich erzähle Euch nun – aus Sicht einer fast echten Sizilianerin – vom Leben im Schatten des Vulkans, vom Leben mit Mamma Etna, wie die Sizilianer ihren Vulkan nennen.
Sizilien wie es früher war
Als ich als junges Mädchen das erste Mal hier ankam, war alles fremd und ungewohnt. Laute Menschen, bunte kleine Busse, die durch die Straßen fuhren und von Lebensmitteln, über Wäsche, bis zu Waschmitteln praktisch alles anboten. Wenn der kleine vollbeladene Bus durch die Straßen fuhr und seine Ankunft mit lautem Geschrei ankündigte, eilten die Hausfrauen hinaus um einzukaufen. Da wurde alles angeboten: frisches Gemüse, wunderschöne knallrote Tomaten, leckere schwarzlila Auberginen, Obst jeder Sorte, prallgelbe große Zitronen, duftende Pfirsiche, … Sogar trockene Linsen, Erbsen und Bohnen in weißen Säcken hatte der Bus geladen.
Nachdem die Frauen an Mittag- und Abendessen gedacht hatten, ging es weiter mit Seife, Waschmittel, Besen, Eimer und dann kam der unterhaltsamste Moment. Der gute Mann hatte feine bestickte Bettwäsche für die Ausstattung der zukünftigen Bräute! Auf Sizilien ist schon immer großer Wert auf solch besondere Stücke gelegt worden. Da wurde betastet, bewertet und gehandelt, was alles ziemlich lang und laut zuging.
Heute gibt es das nicht mehr, es fahren keine Straßenverkäufer mit Lautsprechern durch die Gegend. In den kleineren Ortschaften kann man noch die Ape, das dreirädrige kleine Fahrzeug sehen, wo Gemüse und Obst oder frischer Fisch angeboten werden. Selten gibt es noch alte Männer, die an der Vergangenheit festhalten und Unterwäsche auf ihrer Ape verkaufen, aber niemand kauft heute noch auf der Straße seine Unterwäsche.
Auf Tuchfühlung mit dem Ätna
Damals hatte ich das Glück, den Ätna zum ersten Mal nicht nur kennenzulernen, sondern zu erleben. Es war Anfang September und Anfang August hatte es eine Eruption gegeben. Das mussten wir uns von Nahem ansehen. Ich erinnere mich gut an den steinigen schwarzen Lavastrom, der die Straße überquerte. Eine hohe rauchende Mauer! Mit unseren Sandalen versuchten wir ein bisschen hochzuklettern, doch die Sohlen unserer Schuhe lösten sich durch die Wärme auf. Da schon erkannte ich, dass man den Vulkan respektieren muss.
Achtung: Auch wenn die Lava schon fest und schwarz ist, ist sie noch sehr heiß.
Im Laufe der Zeit hat der Vulkan mich oft überrascht, nicht immer positiv. Es ist zwar wunderschön, wenn er ausbricht und rote glühende Lava in die Luft schleudert, aber auch beängstigend.
Leben im Schatten des Vulkans: Asche, Asche, Asche
Ein großer Ausbruch wird meistens durch rollende laute Donner angekündigt und Fenster und Türen klirren. Man schaut hinaus und sucht den Himmel ab um Anzeichen eines nahenden Gewitters zu finden. Doch wenn man in Richtung Ätna blickt, kann man erkennen, wie dunkler Rauch aus dem Mund des Vulkans aufsteigt, bis es dann soweit ist und die Lava in die Luft gesprengt wird. Diese ist von Asche und Steinen begleitet.
Wenn wir Glück haben und es windstill ist, fällt alles in der Nähe des Kraters herunter. Meistens aber formt sich eine riesige schwarze Wolke, die vom Wind in verschiedene Richtungen getrieben wird. Dann kommt aus unseren Mündern ein spontanes Stoßgebet: bitte nicht in meine Richtung!
Denn wenn man Pech hat, regnet es Asche und Steinchen, die im Nu alles bedecken. Straßen, Plätze, Dächer, Balkone, alles wird ganz schnell mit einer dichten grauen Schicht bedeckt. Die grünen Gärten werden schwarz und die feine Asche dringt in Häuser und Wohnungen und setzt sich überall fest.
Weiße Vorhänge werden grau und Boden und Möbel sehen aus, als hätte man schon seit Wochen nicht mehr abgestaubt. Falls man im Auto unterwegs ist, muss man schnell alle Fenster hochkurbeln, sonst atmet man die feine Asche ein. Manchmal sind die Steinchen so groß, dass sie auf den Autos Dellen hinterlassen. Es hört sich an als würde es hageln.
Oft passiert es, dass der Flughafen Catania geschlossen werden muss, weil die Landebahnen schwarz bedeckt sind, oder weil es zu gefährlich ist durch die Aschewolken zu fliegen. Die Passagiere werden dann nach Palermo geschickt.
Der Ausbruch von 2002 – die perfekte Eruption
Ich werde nie den Herbst 2002 vergessen! Im Oktober begannen die Eruptionen, begleitet von Unmengen Asche. Bis Januar 2003 waren wir nur mit Mundschutz, Kappe und Brille draußen. Jeden Tag konnte man ununterbrochen kehren. Die Säcke voll mit Asche häuften sich an jeder Straße und wurden von der Gemeinde abgeholt. Wenn es dazu noch regnete, war es ein Albtraum. Am Abend, wenn man sich auszog, hatte man trotz allem Schutz Steinchen in den Haaren und sogar in der Unterhose.
Es war eine anstrengende Zeit, doch trotz allem begleitet von einzigartigen Blicken auf den Vulkan. Am 26. Oktober fing alles an, angekündigt von vielen Erdbeben. Auf der nordöstlichen Seite des Ätna öffnete sich ein langer Spalt, aus dem große Mengen Lava drangen und Unmengen von Asche und Steinen. Am 13. November öffnete sich ein neuer Spalt auf der Südseite und am 21. November kam noch ein dritter neuer Krater dazu, auf 2750 Metern.
Genaueres zum Ablauf dieser Eruption könnt ihr hier nachlesen: Ausbruch von 2002 und 2003
Es ist die größte Eruption der letzten 100 Jahren gewesen, man nennt sie die perfekte Eruption. Für uns Einwohner war es mit viel Arbeit und Ärger verbunden, aber so ein Naturspektakel hatte ich noch nie erlebt! Wenn man auf der Autobahn fuhr und den Blick Richtung Ätna wendete, hatte man das Gefühl, der Vulkan würde sich auflösen. Über seine Hänge zogen unzählige rote rauchende Flüsse, nie mehr danach habe ich so viele auf einmal gesehen! Aus meinem Schlafzimmer konnte ich den Ätna sehen und aus dem Bett bewunderte ich jede Nacht die feurigen Explosionen, die den Himmel rot färbten.
Beeindruckende aber auch beängstigende Bilder des Ausbruchs von 2002 und 2003 könnt ihr in dieser Dokumentation des INGV sehen: Dokumentation über den „Perfekten Ausbruch“ des INGV (Nationales Institut für Geophysik und Vulkanologie) auf YouTube
Leben im Schatten des Vulkans bedeutet auch immer wieder Zerstörung: 2002 wurde das touristische Zentrum Ätna Nord vollkommen durch die Lavaflüsse zerstört. Das neue touristische Zentrum Piano Provenzana, das ihr auf dem Bild seht, wurde danach auf den Lavaflüssen neu aufgebaut.
Heute sehe ich den Ätna leider nicht mehr, denn ein Kastanienbaum ist sehr hoch gewachsen und bedeckt den Blick. Doch ich schaue jeden Tag in seine Richtung, denn ich möchte wissen, ob er friedlich vor sich dahin pafft, oder eine größere Eruption vorbereitet.
Der Ätna ist eine wichtige Konstante in unseren Leben. Wir fürchten, aber gleichzeitig bewundern und lieben wir ihn.